Religion in globaler Gegenwart

BA/MA: Norm und Abweichung in der europäischen Religionsgeschichte

Dienstag, 19.03.2024

Historisch ist Europa eng mit dem Christentum verbunden, jedoch beginnt die europäische Re-ligionsgeschichte keineswegs erst mit der Christianisierung. Von Anfang an existieren ver-schiedene Religionen, die einander friedlich begegnen, sich aber auch in Konkurrenz und Konflikt gegenüberstehen. Im religiösen Diskurs wird ausgehandelt, was der religiösen Norm entspricht und was nicht, und es entstehen Konzepte von Religion, die sowohl eingrenzend als auch ausgrenzend wirken. Rom muss mit seinen «Barbaren» umgehen und schafft sich mit der interpretatio romana einen recht breiten Toleranzraum dessen, was als römisch durchgehen mag. Gleichzeitig wirken Normierungen nach innen: Das römische religio stösst dort an die Grenzen seiner Akzeptanz, wo die religiöse Praxis übertrieben (superstitio) und damit verdächtig wirkt. Norm und Abweichung werden auch über sexuelle Devianzen ver-handelt, etwa wenn sich die Götter in der nordischen Mythologie gegenseitig als homosexuell bezeichnen. Das Christentum kennt vielfältige Ein- und Ausgrenzungsmechanismen: Ketzerei, im Mittelalter keineswegs die Ausnahme, sondern eher die Norm, mithin eine religiöse Stra-tegie, wird über das Häresiekonzept definiert. Diejenigen, die an Gott zweifeln, sind zwar buchstäblich ver-rückt, «Narren», aber sie werden nicht blutig verfolgt. Mit der frühneuzeitli-chen Konfessionalisierung ändern sich die diskursiven Parameter grundlegend. Das Be-kenntniskonzept begünstigt die Vorstellung eines falschen Bekenntnisses, das es zu sanktio-nieren gilt: Ende des 16. Jahrhunderts wird der einfache Müller Menocchio von der Inquisition zu seinen Vorstellungen, wie die Welt entstanden ist, befragt und bezahlt seine Ideen schliesslich mit dem Leben. Der Schritt zur Idee der Gedankenkontrolle war vollzogen, die europäischen Hexenverfolgungen bereits in vollem Gang. Im 18. Jahrhundert entsteht ein neuer Paradigmenwechsel: Die aufklärerischen Philosophen entwickeln die Vernunftreligion, die das Bekenntniskonzept unterläuft. Die Atheisten unter ihnen, die sogenannten «Radi-kalaufklärer», lehnen gar jegliche Religion ab und streiten mitunter öffentlich über Atheismus – im aufgeklärten Europa eine (politische) Normverletzung, die unter die Zensur fällt. Das Seminar bietet eine Einführung in die Verhandlung von Norm und Abweichung in der europäischen Religionsgeschichte. Die ausgewählten religionsgeschichtlichen Beispiele dienen uns dazu, verschiedene Konzepte von Religion und die darin enthaltenen Ein- und Ausgrenzungsmechanismen kennen zu lernen, die wir punktuell mit theoretischen Texten vertiefen und mit dem Konzept der europäischen Religionsgeschichte in Beziehung setzen werden. Alle Interessierten der MA-Studiengänge Religionswissenschaft & Religion in globaler Gegenwart sind herzlich willkommen!

Dozierende(r): Dr. Anja Kirsch
19.03.2024:12:15 - 14:00
Ort:EG, F 005
Unitobler
Lerchenweg 36

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