Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft (German Studies)

Rhythmus, Metrum, Vers (Seminar LW II)

Dienstag, 19.03.2024

Aus einer anthropologischen Perspektive können Rhythmus und Frequenz – etwa in Form von Herzschlag und Atem – als existenzielle Bedingungen für Kunst und Literatur betrachtet werden. Sie stehen am Beginn menschlicher Kultur und können in der Dichtung u. a. in Wiederholungsstrukturen und rituellen Taktungen auftreten. In der mündlichen Überlieferung erfüllen sie strukturelle und mnemotechnische Zwecke. Ihre aisthetische Wirkung und ihr Einfluss auf physiologische Prozesse der Literaturrezeption werden heute in der Empirischen Ästhetik experimentell erforscht. Doch wie verhält sich Rhythmus zu Metrum und Vers im literarischen Text? Was ist überhaupt ein Metrum und welche Effekte zeitigt es? Wie rezipieren wir metrische Texte im Unterschied zu ungebundener Sprache? Im Kurs wollen wir solche systematischen Fragen mit der historischen Perspektive auf Rhythmus, Metrum und Vers verbinden. Die deutsche Poetik hat seit der Renaissance über mehrere Jahrhunderte mit dem Problem gekämpft, wie man die oft als sperrig geltende deutsche Sprache in der Lyrik zu phrasieren habe, ob man sich eher an der antiken oder an der neueren Metrik europäischer Literaturen orientieren solle und ob die metrischen Systeme nicht überhaupt zu rigide seien. In den Antworten, welche die deutsche Literatur von Opitz über Klopstock und Hölderlin bis zu Jan Wagner gab, zeichnet sich die enge Verflechtung von Form und Politik (etwa Militärreformen), Sprachtheorie und -praxis ab. Im letzten Teil des Seminars wollen wir kreative, intermediale und thematische Aspekte des Themas in den Blick nehmen. Rhythmus ist eine Eigenschaft von literarischen wie von musikalischen Kunstwerken; diese Gemeinsamkeit zeigt sich besonders deutlich in Liedvertonungen (z. B. Heine/Schubert), aber auch in zeitgenössischen Gattungen wie Rap und "Spoken Poetry". Den Zusammenhang von Rhythmus und Zeit illustrieren Texte, die temporale Phänomene wie etwa den Tag/Nacht-Wechsel, Mondphasen oder den Verlauf der Jahreszeiten darstellen und damit womöglich einen ‚Rhythmus des Lebens‘ evozieren. In praktischen Übungen (skandieren, versifizieren) analysieren wir Versmaße und lyrische Formen, lernen Rhythmus und Metrum aber auch als Auslöser und Treiber literarischen Schaffens kennen – im Sinne einer "contrainte", eines formalen Zwangs.

Dozierende(r): Prof. Dr. Nicolas Detering, Dr. Thomas Nehrlich
19.03.2024:12:15 - 13:45
Ort:1. UG, Seminarraum F -107
Unitobler
Lerchenweg 32-36

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