Sozialanthropologie

Multidirectional Justice

Mittwoch, 19.03.2025

Ausgehend von Rechtsfällen aus Argentinien, Indien, Namibia/Deutschland und der Schweiz, in denen Schuld aufgrund von kollektiver und/oder staatlicher Gewalt gegen spezifische Gruppen verhandelt wurde, stellen wir in diesem Seminar die Fragen: Was leistet Recht in der Aufarbeitung von kollektiver und/oder staatlicher Gewalt und welche Fälle werden überhaupt gerichtlich verhandelt, und welche möglichen anderen nicht? Wie steht dabei Recht mit Erinnerung in Zusammenhang, und wie zirkulieren Erinnerungskulturen und strukturieren dabei die Möglichkeiten rechtlicher Verhandlung? Was ist dabei die Geschichte des (rechtlichen) Genozidsbegriffs, und wie wird er in spezifischen gesellschaftlichen Kontexten definiert und politisch genutzt? Wir setzen uns mit Debatten über das, was dieser Begriff ermöglicht, und was er unmöglich oder unsagbar macht, auseinander, wie er das Verständnis von historischer Gewalt strukturiert, und wie sich diese Strukturierung selbst im Laufe der Geschichte des Genozidbegriffs gewandelt hat. Wir befragen Singularisierungsbestrebungen ebenso wie Übertragungs- und Erweiterungsversuche des Begriffs. Im Sinne der „multidrectional memory“ befragen wir gerichtliche Verfahren zu historischer Gewalt darauf hin, wie – u.a. über den Genozidbegriff – sowohl Opferkonkurrenz als auch Solidarität entstehen können. Das Seminar beginnt mit der Frage nach den Leistungen von (Straf-)recht in der Aufarbeitung gruppenbezogener Gewalt im Vergleich zu anderen Verfahren (z.B. Wahrheitskommissionen) und Praktiken (z.B. Erinnerungspolitiken). Es widmet sich dann eingehend dem Genozid-Begriff und seiner Geschichte im Recht. Der dritte Teil des Seminars widmet sich dann anhand der eingehenden Diskussion von Texten aus Geschichtswissenschaft und Sozialanthropologie den Fragen nach Prozessen von multidirectional justice. Im vierten Teil wenden wir uns dann anhand ausgewählter Fälle den Debatten über die Übertragbarkeit des Genozids-Begriffs und den Funktionen solcher Übertragungen in den Verhandlungen zur Aufarbeitung von gruppenbezogener Gewalt zu.

Dozierende(r): Prof. Julia Eckert, Prof. Ch. Büschges
19.03.2025:10:15 - 12:00
Ort:EG, F 012
Unitobler
Lerchenweg 32-36

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